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Leiharbeit weiter deutlich schlechter bezahlt– Klassenjustiz bestätigt Spaltung

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von Gregor Lenßen

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam. Eine Leiharbeiterin aus Bayern klagte sich hoch bis zum Bundesarbeitsgericht um ihre Ansprüche auf gleichen Lohn von Januar bis April 2017 durchzusetzen. Mehr als 4 € die Stunde wurden ihr im Vergleich zur Stammbelegschaft vorenthalten. Der Rechtsstreit hat für die geschätzt 800.000 Leiharbeiter entscheidende Bedeutung. Die Erwartungen waren groß, Beobachter gingen davon aus, daß das Gericht die Rechte der Leiharbeiter stärken würde mit Signalwirkung. Insbesondere, da das deutsche Gericht das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorlag. Letzerer urteilte am 15. Dezember 2022, daß EU-Recht einen „Gesamtschutz“ für Leiharbeiter vorschreibe. Leiharbeiter dürften insgesamt nicht schlechter gestellt werdeni. Während also selbst das höchste Gericht der neoliberalen EU Anstoß an der deutschen Praxis nahm, spornte das den BAG-Richter Rüdiger Linck lediglich zu einer kreativen Umschiffung an. Einer Schmierenkomödie gleichend hieß es im Urteil, daß die Leiharbeiter als ausgleichenden Vorteil für weniger Lohn in den einsatzfreien Zeiten weiterbezahlt würden. Jeder Laie würde einwenden, daß dies eine Selbstverständlichkeit ist, sodaß man nur zu dem Schluß gelangen kann, daß höchstudierte Richter am BAG entweder völlig weltfremde Analphabeten sind, die die Intention des EuGH Urteils nicht verstanden haben oder eben aus politischen Motiven einen Pseudogrund „finden“ mußten. 800.000 Lohnsklaven rückwirkend und in Zukunft besser bezahlen zu müssen, hätte dem Kapital definitiv weh getan. Wie sähe das beim nächsten gemeinsamen Fressbankett hoher Richter mit hohen Ambitionen bei den hohen Vertretern des Kapitals und der Politik auch aus? Beförderung und andere hohe Weihen ade hieße es dann. Zwar werden solche karrierefördernden Netzwerk-Bankette von allen arbeitenden Menschen inklusive der Leiharbeiter finanziert, aber die Verfügungsgewalt darüber haben doch die Angehörigen des Kapitals und nicht die Habenichtse. Wes Brot ich ess', des Lied ich sing.

Selbstverständlich kann dies ein „unabhängiges Gericht“ in einer Demokratie mit Gewaltenteilung nicht offen in das Urteil hineinschreiben, drum die ganze Scharade.

 

Leiharbeit in Frankreich

Werfen wir einen Blick in das besagte Urteil des EuGH, in dem es heißt: „Der Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern wäre nämlich zwangsläufig geschwächt, wenn sich ein solcher Tarifvertrag in Bezug auf die Leiharbeitnehmer darauf beschränkte, eine oder mehrere dieser wesentlichen Bedingungen zu verschlechtern.“ Und weiter: „Die Vorteile zum Ausgleich der Auswirkungen einer Ungleichbehandlung zum Nachteil der Leiharbeitnehmer … müssen sich… beziehen ... auf die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage und das Arbeitsentgelt (...)“ii

Auch wenn es nicht explizit so genannt wird, kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß der EuGH bei seinem Urteil die konkreten Bedingungen in Frankreich im Blick hatte. Dort muß das Risiko leicht wieder gekündigt zu werden durch einen höheren Lohn ausgeglichen werden. Leiharbeiter dürfen auch nicht als Streikbrecher eingesetzt werden. Dadurch ist Leiharbeit aber längst noch kein Vergnügen. Das Interesse des Arbeitgebers liegt daher vor allem darin, daß Leiharbeitskräfte über keine gesicherte berufliche Perspektive verfügen und deswegen seltener aufmucken.“, berichtet Bernard Schmidiii. Und weiter: „In Krisenzeiten werden vor allem Leiharbeitskräfte als »Puffer« benutzt, um das Stammpersonal vor Entlassungen zu schützen, indem den Erstgenannten zuerst gekündigt wird.iv

 

Verrat im Spiel

Das schlechteste aus allen Welten kommt in der BRD für Leiharbeiter zusammen. Ein Vertreter des Interessenverband der Deutschen Zeitarbeitsunternehmen (IGZ), Dr. Martin Dreyer, frohlockte dementsprechend:

Das Bundesarbeitsgericht hat heute mit seiner Entscheidung die Tarifautonomie in der Zeitarbeit gestärkt. Das begrüßen wir natürlich. Wir wollen diese Tarifpartnerschaft mit den Gewerkschaften fortsetzen.“v Dies ist der Moment in dem sich jeder skeptisch die Augen reiben müßte: Das wird von den Gewerkschaften unterstützt?! In der Tat, auf der Homepage IGZ protzt dieser selbstbewußt, daß die Tarifbindung in der Zeitarbeit bei nahezu 100 % liege, während sie es 2017 im Westen sonst nur 57 % seien und im Osten nur 44 %vi. Verkehrte Welt, die Kapitalseite, die es ihren Lohnsklaven sonst so schwer wie nur möglich macht, einen Betriebsrat zu gründen oder bei zu starker gewerkschaftlicher Verankerung zu drastischen Maßnahmen greift, ist der größte Vorreiter bei der Tarifbindung.

Der Grund dafür ist so einfach wie erschütternd: Die DGB-Tarifverträge SIND das eingebaute gesetzliche Schlupfloch um gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu umgehen! Ein Leiharbeiter, Anfang 60, der anonym bleiben will und darum in einer Reportage des Deutschlandfunk „Thomas B.“ genannt wurde, fragt sich, wie es sein kann, „daß die Gewerkschaften mit Ihren Arbeitsverträgen diese schlechten Arbeitsbedingungen erst ermöglichen? Ohne Tarifvertrag würde schließlich ab dem ersten Einsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit gelten.“vii

Die Liberalisierung der Leiharbeit erfolgte mit den Hartz IV Reformen um das Jahr 2003. Die offizielle Lesart des DGB besagt in etwa, daß man sich hier beteiligen mußte, da die Arbeitgeberverbände sonst Verträge mit den gelben „christlichen“ Pseudogewerkschaften schlossen, denen man nicht das Feld überlassen wollte. Allerdings wurden diese bereits 2010 durch das BAG aus dem Verkehr gezogen, mit der Begründung, daß sie „nicht tariffähig“ und „keine Arbeitnehmervertretung“ seienviii. Hinter den gelben Scheingewerkschaften kann sich der DGB also nicht mehr verstecken. Ein Artikel aus dem Jahr 2003 macht zudem deutlich, wie die DGB-Führung von Anfang an in die Logik der Hartz-Reformen eingebunden war. Das war nicht immer so. Leiharbeit wurde von den Gewerkschaften der Alt-BRD ab den 1960ern jahrzehntelang bekämpft. Galt sie doch seit ihrer Einführung im Jahr 1948 in den USA als Sklavenarbeit und wurde mit menschenverachtenden Arbeitsbedingungen assoziiertix. Der schleichende Einstieg gelang dann doch 1972 mit einem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Bereits in den Phasen der Massenarbeitslosigkeit in den 1980ern erlebt sie ihren ersten Boom. Mit den Agenda 2010 Reformen beugte sich die Gewerkschaftsführung dann vollends. Das damalige DGB-Vorstandsmitglied Heinz Putzhammer führte 2003 aus:

Es kam den Gewerkschaften, dem DGB, darauf an, zwei Grundsätze durchzusetzen: Das eine ist, selbstverständlich auch für Leiharbeit der Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Vor allen Dingen deshalb, weil wir sonst hätten befürchten müssen, daß die großen Firmen Vollzeitarbeitskräfte, für die die Tarifverträge der Branche gelten, entlassen hätten und statt dessen für die gleichen Tätigkeiten schlechter bezahlte Leiharbeitskräfte eingestellt hätte. Das wäre arbeitsmarktpolitisch sicher nicht sinnvoll gewesen. Zweitens wollten wir aber natürlich auch dafür sorgen, daß ganz besonders im Zusammenhang mit den Hartz-Vorschlägen die Chancen Arbeitsloser, einen Arbeitsplatz zu bekommen, vergrößert werden, indem sie zunächst als Leiharbeitnehmer in die Firmen vermittelt werden. Diese Vermittlungschancen kann man natürlich nur dann verbessern, wenn man bereit ist, für die Anfangszeit, Abstriche bei der gleichen Bezahlung hinzunehmen.“x

Aus diesen Ausführungen wird mehr als deutlich, daß sich die Gewerkschaften bereitwillig in die Pläne des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder haben einbinden lassen. Schröder formulierte das 2005 in Davos weit wenig verschämt als der ebenfalls der SPD angehörende Putzhammer vom DGB:

Deutschland neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, obwohl es das Falscheste ist, was man eigentlich tun kann. Wir haben einen funktionierenden Niedriglohnsektor aufgebaut, und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt. Es hat erhebliche Auseinandersetzungen mit starken Interessengruppen in unserer Gesellschaft gegeben. Aber wir haben diese Auseinandersetzungen durchgestanden.“xi

 

Der Leiharbeiter als rechtloser Paria der Arbeiterklasse

Wie zynischer Hohn wirkte im besagten Artikel von 2003 die Unternehmerpropaganda, mit der Leiharbeit salonfähig gemacht werden sollte: „Es gibt die hochqualifizierte Programmiererin, die über eine Leihfirma an sehr gut bezahlte und interessante Jobs im Ausland kommt. Und es gibt den Bankett-Koch, der sich lieber von seinem Verleiher auf Gala-Veranstaltungen schicken läßt, als sich der Angestelltenroutine einer Hotelküche auszusetzen.“,behauptete der Sozialwissenschaftler und Leiter des Bonner Instituts für Wirtschaft und Sozialpolitik Meinhard Miegelxii.

Herr Miegel erwähnte natürlich nicht, was die Luxusprobleme einer verschwindenden Minderheit von Hochqualifizierten, die ohnehin kaum bis gar nicht auf eine kollektive, gewerkschaftliche Organisation angewiesen sind, mit mit den ganz alltäglichen Sorgen der Massen von gewöhnlichen Leiharbeitern zu tun haben. Der Bericht zitierte den Leiharbeiter Bernd Kolbe – er heißt bezeichnenderweise ebenso wie Thomas B. nicht wirklich so - der als Schweißer im BMW-Motorradwerk 7 € brutto erhielt, während die Stammangestellten über 15 € die Stunde verdienten. Damit nicht genug, in der BMW-Kantine mußte er, da er nur „Gast“ war, für jedes Essen einen Euro mehr bezahlen. Auf den betriebseigenen Parkplätzen des Werkes mußte er befürchten, daß sein PKW abgeschleppt werden könnte, da er dort nichts zu suchen hattexiii.

Der Bericht von Kolbe ist ein erschütterndes Zeugnis für Ausgrenzung und symptomatisch für viele andere. Leiharbeiter leisten die gleiche Arbeit, sind aber rechtlos und ausgestoßen und werden von den Stammangestellten als Lohndrücker wahrgenommen und auch so behandelt.

Wie konnten die DGB Gewerkschaften das zulassen und unterstützen? Der bereits zitierte Leiharbeiter Thomas B hat die plausible Mutmaßung, daß im Fokus der Gewerkschaftsfunktionäre, speziell bezogen auf die IG Metall, nur die festangestellte Belegschaft stünde: „Die sagen einfach, wenn da Arbeitsplätze abgebaut werden im Metallbetrieb, dann werden die Leiharbeiter nach Hause geschickt und die IG Metall-Funktionäre können sagen: ‚Wir haben unsere Belegschaft geschützt.‘“xiv

Die Hauptverantwortung für die Spaltung der Arbeiterklasse in einigermaßen ordentlich bezahlte Lohnarbeiter und weitgehend rechtlose Paria tragen somit die meist SPD-Parteibuch tragenden Führer der DGB-Gewerkschaften. Die waren willige Komplizen als die rot-grüne Regierung mit den Hartz Reformen die Entrechtung der arbeitenden Menschen und Erwerbslosen verwirklichten. Sie schützen in reaktionärer Zunftmanier lieber einen stets kleiner werdenden Kreis von verhältnismäßig gut gestellten Lohnarbeiter, statt sich den Angriffen des Kapitals solidarisch und klassenkämpferisch entgegenzusetzen. Somit sind diese Funktionäre auch die Hauptschuldigen an dem jüngsten Urteil, denn wie Wolfgang Däubler in der jungen Welt feststellte, wäre es ein bißchen viel verlangt, daß das BAG die Gewerkschaften links überholtxv.

 

Heraus mit dem politischen Streikrecht!xvi

Die BRD rühmt sich öffentlich für ihre Sozialpartnerschaft und soziale Marktwirtschaft und erteilt gerne mit erhobenem Zeigefinger anderen Staaten Nachhilfe in Demokratie. Dennoch muß sogar die staatliche Bundesstelle für politische Bildung einräumen, daß „bis heute mit den [politischen, Anmerkung GL] Streikverboten die Angst vor der eigenständigen politischen Tätigkeit der Arbeitenden gewissermaßen institutionalisiert [ist].xvii

Es ist an der Zeit, daß diese politische Entmündigung der Arbeiterklasse in Deutschland endlich ein Ende hat! Geschenkt wird ihr das nicht. Es braucht die starke Kommunistische Partei, die in den bestehenden Gewerkschaften gegen den Verrat der kapitaltreuen Funktionäre arbeitet.

 


 

ivebenda

vhttps://www.deutschlandfunk.de/bundesarbeitsgericht-leiharbeiter-duerfen-weiter-schlecht-bezahlt-werden-dlf-8945c3e5-100.html

vihttps://ig-zeitarbeit.de/tarifbindung-zeitarbeit-ist-vorreiter/

viiihttps://www.zeit.de/wirtschaft/2010-12/BAG-Gewerkschaften-Urteil

ixhttps://www.deutschlandfunk.de/angeblich-ein-ganz-normales-arbeitsverhaeltnis-100.html

xebenda

xiBundeskanzler Schröder vor dem World Economic Forum am 28. Januar 2005 in Davos

https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundeskanzler-gerhard-schroeder-792094

xiihttps://www.deutschlandfunk.de/angeblich-ein-ganz-normales-arbeitsverhaeltnis-100.html

xiiiebenda

xivhttps://www.deutschlandfunk.de/urteil-zur-leiharbeit-100.html

xvhttps://www.jungewelt.de/artikel/452220.leiharbeitsurteil-kein-gleicher-lohn-f%C3%BCr-gleiche-arbeit.html?sstr=leiharbeit

xvi

xviihttps://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/netzdebatte/219308/ein-bisschen-verboten-politischer-streik/

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