Gerhard Feldbauer: Ein vorhersehbarer Verrat – Oder: Wer hat die DDR verraten und verkauft?
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- Kategorie: Freunde
- Veröffentlicht am Donnerstag, 24. August 2023 10:30
- Geschrieben von estro
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Der Journalist und ehemalige DDR-Botschafter Gerhard Feldbauer zeichnet hier ein sehr genaues Bild über das heimtückische und verschwörerische Spiel der Akteure der Konterrevolution 1990 und ihres persönlichen Beitrags zur Liquidierung der DDR. Daß es sich dabei um einen milliardenschweren Betrugsfall, die Plünderung des gesamten Volksvermögens der DDR, und um die Enteignung von über 17 Millionen DDR-Bürgern handelte, sei hier nur am Rande erwähnt. Ganz zu schweigen von den Menschenopfern, die dieser Staatsstreich nach sich zog. Schlimmer noch ist, daß diese Banditen niemals zur Verantwortung gezogen wurden und sogar zum Teil noch heute ihre Lügen verbreiten dürfen, wofür sie zweifellos einen fürstlichen Judaslohn verbuchen konnten. Es ist wohl beispiellos in der Geschichte, wie hier ein ganzer, souveräner sozialistischer Staat mitsamt seiner Bevölkerung nahezu geräuschlos den kapitalistischen Plünderern und ihren Geheimdiensten zum Fraß vorgeworfen wurde…
Schon Ende 1989 zeichnete sich ab, daß die Sowjetunion die DDR fallen lassen würde. Dennoch vertraute die DDR-Regierung Michail Gorbatschow.
Von Gerhard Feldbauer
In diesen Tagen legen regierungsoffizielle Stellen und ihre Medien sowie diverse in diesem System angekommene Personen ihre Sicht auf die Ereignisse vor 30 Jahren dar, die zum Anschluß der DDR an die BRD, auch „friedliche Revolution“ genannt, führten. Ich melde mich als Zeitzeuge zu Wort, dem seine Erlebnisse als Auslandskorrespondent des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN) in Italien von 1973 bis 1979 ermöglichten, früher als mancher Teilnehmer oder Beobachter zu erkennen, wohin das Handeln maßgeblicher Akteure in und außerhalb der DDR führen mußte. In Rom hatte ich erlebt, wie die eurokommunistischen „Reformer“ die Führung der von Antonio Gramsci 1921 gegründeten kommunistischen Partei (PCI) an sich rissen und ihre Umwandlung in eine sozialdemokratische Linkspartei einleiteten, die sie 1990/91 abschlossen. Aus dieser Zeit war mir auch Gregor Gysi, der Sohn unseres Botschafters Klaus Gysi in Rom, kein Unbekannter. Klaus Gysi hatte in Italien als Chefdiplomat Großes für die DDR geleistet. Sein Sohn Gregor war promovierter Jurist, wurde 1988 Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte und verteidigte bekannte Dissidenten der DDR, wie Robert Havemann und Rudolf Bahro.
Die „Reformer“ der SED
Im Oktober 1989 setzte eine Gruppe von „Reformern“ mit ihm an der Spitze das Politbüro des ZK der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) ab, und Gysi übernahm die Parteiführung. Viele Genossen sahen das als einen Putsch gegen die auf dem letzten Parteitag gewählte Führung an. Doch Gysi wurde – so zunächst auch von mir – angesichts der Unfähigkeit der Leitung vor allem als ein Mann gesehen, der der im Dezember 1989 in SED-PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) umbenannten Partei und der DDR über die schwere Krise hinweghelfen könnte.
Gregor Gysi auf Parteigründungs-Trip
Erste Zweifel kamen auf, als bekannt wurde, daß Gregor Gysi sich im Januar 1990 in Rom mit Achille Occhetto, dem letzten PCI-Generalsekretär getroffen hatte, um Erfahrungen bei der Umwandlung der Partei (unter der Losung „Heimkehr zur Sozialdemokratie“) in eine sozialdemokratische Linkspartei PDS (Partito Democratico della Sinistra) zu studieren.1 Er war auch mit dem Chef der Sozialisten, Bettino Craxi, zusammengetroffen, der schon zu dieser Zeit unter Korruptionsverdacht stand.2 Der Hintergrund war, wie dann auch durchsickerte, daß Gysi sich mit dem Gedanken trug, das italienische Modell aufzugreifen, also nach einer Vereinigung von PDS und SPD zu trachten. Aber während die CDU der BRD, wie auch die Liberalen ohne Bedenken ihre ostdeutschen Schwesterparteien vereinnahmten, fehlte der SPD dazu der strategische Weitblick, mehr wohl noch der Mut. Im Zuge der angestrebten Vereinigung versuchte Gysi dann, die Deutsche Kommunistische Partei auszuschalten. Die Kommunisten sollten sich auflösen, und ihre Mitglieder sollten einzeln der PDS beitreten. In der DKP arbeitete u.a. das Leitungsmitglied Wolfgang Gehrcke darauf hin. Er trug dazu bei, daß etwa 10.000 ihrer zu dieser Zeit rund 30.000 Mitglieder die Partei verließen, von denen sich jedoch die wenigsten bei der PDS einfanden. Zum Lohn erhielt Gehrcke einen Listenplatz der PDS zur Kandidatur für ein Mandat des Bundestages.
Die CIA übernimmt das Kommando
Am 10. Januar 1989 berichtete die FAZ, daß in Bonn CIA-General Vernon Walters als Botschafter das Kommando übernahm, um „die letzte Ölung zu geben, kurz bevor der Patient stirbt“. Der Patient war die DDR, gegen die der Hauptstoß geführt wurde, um, so Walters, „dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen“. Zu Walters Unterstützung hatte USA-Präsident Georg Bush sen. eine „European Strategy Steering Group“ unter Leitung von Vizesicherheitschef Robert Gates gebildet, die in Bonn durchsetzte, der DDR „jede wirtschaftliche Unterstützung zu verweigern, bis tiefgreifende politische Reformen eingeleitet“ seien. Als am 9. November 1989 die chaotische Grenzöffnung nach Westberlin erfolgte, war Walters, wie einem Bericht des International Herald Tribune vom nächsten Tag zu entnehmen ist, bereits vor Ort und beobachtete von einem Hubschrauber aus das für die weitere Entwicklung entscheidende Ereignis des Mauerfalls, dem „Moskau ruhig zugeschaut“ habe.
Der Neofaschist und CIA-General Walters
Den Dreisternegeneral kannte ich aus meiner Arbeit in Italien. Als der christdemokratische Parteiführer Aldo Moro zu Beginn der 1960er Jahre seine erste Regierung mit den Sozialisten ankündigte, hatte Walters als Militärattaché der USA-Botschaft in Rom gefordert, daß „die Vereinigten Staaten ohne zu zögern das Land militärisch besetzen müßten“ und dazu mit neofaschistischen Offizieren einen Staatsstreich vorbereitet, der von Präsident John F. Kennedy abgeblasen wurde, nachdem Details davon in die Öffentlichkeit gedrungen waren. Walters avancierte später zum stellvertretenden CIA-Direktor, inszenierte Militärputsche, half unliebsame Präsidenten, Premiers oder hohe Politiker und Militärs zu beseitigen, darunter 1973 Salvador Allende in Chile und Aldo Moro 1978 in Rom. Er beriet persönlich Papst Wojtyla bei dessen Unterstützung der konterrevolutionären Gewerkschaft Solidarność in Polen. Die Vietnam-Aggression der USA, die mehr als drei Millionen Vietnamesen das Leben kostete, fast ganz Nordvietnam in Trümmer legte und bei der 58.000 US-Soldaten starben, war für ihn „einer der nobelsten Kriege“ der USA.3 Während meiner diplomatischen Tätigkeit in Kinshasa (ich war nach meinem Wechsel ins Außenministerium von 1983 bis 1987 Botschafter in Zaїre, der heutigen Demokratischen Republik Kongo) begegnete ich ihm 1986 auch dort. Er zog die Fäden zur Unterstützung der kolonialen Marionette Jonas Savimbi gegen die antiimperialistische Regierung unter José Eduardo dos Santos in Luanda (Angola) durch das Mobuto-Regime in Zaїre und die Apartheidregierung Südafrikas.
…und sie „vertrauten“ Gorbatschow
Der Bericht der FAZ über Walters’ Eintreffen in Bonn war dem seit dem 13. November 1989 amtierenden Regierungschef der DDR Hans Modrow bekannt. Er hatte sich ein paar erfahrene Journalisten, darunter den Pressechef des Außenministeriums, Wolfgang Meyer, und aus dem ADN u.a. den Stellvertretenden Generaldirektor, Ralf Bachmann, in sein Team geholt. Meyer wurde sein Pressesprecher, Bachmann sein Stellvertreter. Sie fertigten Modrow täglich die Presseschau. Wie ich Gesprächen mit ihnen entnahm, erkannten sie nicht oder unterschätzten, daß die USA davon ausgehen konnten, daß Moskau bereits über das Schicksal der DDR entschieden hatte.4 Sie vertrauten Gorbatschow, der Egon Krenz am 1. November 1989 versichert hatte, daß „die Einheit Deutschlands nicht auf der Tagesordnung“ und „die Sowjetunion fest zur DDR steht“.
Die Entscheidung war gefallen
Vor Modrows Aufbruch nach Moskau erschien in der Iswestija am 18. Januar 1990 ein Artikel von Eduard Schewardnadse: „Europa – von der Spaltung zur Einheit“, in dem der sowjetische Außenminister die „deutsche Frage“ vor dem Hintergrund eines europäischen Einigungsprozesses diskutierte. In dieser Zeit traf ich mit dem letzten DDR-Botschafter in Moskau, Gerd König, während dessen Berlin-Aufenthalts zusammen. Er war während meiner Zeit in Kinshasa der für Afrika zuständige Stellvertretende Minister gewesen. Damals hatte ich ihn auch über das informiert, was ich aus Gesprächen mit dem sowjetischen Botschafter erfahren hatte, nämlich daß Gorbatschow mit allen Mitteln versuchte, den Besuch Honeckers in Bonn 1987 zu verhindern. Jetzt werde klar, meinte König, daß Moskau sich schon damals die Entscheidung über das Schicksal der DDR vorbehalten wollte.
Modrow: „…habe den Schlüssel gefeilt“
Mit seinem nach der Rückkehr aus Moskau unterbreiteten Plan für „Deutschland einig Vaterland“, mit dem faktisch die DDR zur Disposition gestellt wurde,5 war Modrow der Linie Gorbatschows gefolgt, die KPdSU-Politbüro-Mitglied Alexander N. Jakowlew so formuliert hatte: „Es wäre gut, wenn Modrow mit einem Programm der Wiedervereinigung auftreten würde“. So schätzte König es dann auch in seinem Buch „Fiasko eines Bruderbundes“ (Berlin 2012) ein. Modrow selbst äußerte dazu später: „Kohl behauptet, er habe den Schlüssel zur Einheit aus Moskaus geholt. Wenn das so sein soll, dann habe ich den Schlüssel gefeilt!“ Da stand er ganz an der Seite Gregor Gysis, der sich nach der „Wende“ immer wieder rühmte, die reibungslose Integration der DDR-Bürger ins politische System der BRD sei seiner Partei und auch ihm persönlich zu verdanken.
Ein Komplott der Verräter
Da konnte es auch kaum noch verwundern, wenn Modrows Stellvertreterin im Ministerrat der DDR und Wirtschaftsministerin, Christa Luft, das von Kohl vorgelegte Konzept der „Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion“, das der Wegbereitung des Anschlusses der DDR an die BRD nach Artikel 23 GG diente, „faszinierend“ und auch „wünschenswert“ fand. Presseminister Meyer schlug ebenfalls in diese Kerbe. Als die DDR-Journalistin Edith Spielhagen 1993 unter dem diffamierenden Titel „So durften wir glauben zu kämpfen“ eine Schrift herausgab, steuerte er sein Scherflein mit dem Beitrag „DDR-Medien im demokratischen Aufbruch“ bei und bescheinigte der „Bürgerrechtsbewegung“, es sei ihr „um eine bessere, d.h. demokratische DDR“ gegangen. Es störte ihn auch nicht, daß der spätere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse die DDR in dem Band durch die Phrase von „insgesamt 60 Jahren zweier unterschiedlicher autoritärer Regimes“ mit der faschistischen Diktatur de facto auf eine Stufe stellte. Der frühere Chef der Hauptabteilung Aufklärung (HVA), des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, Markus Wolf, ging sogar so weit, der CIA seine Dienste anzutragen.6
Der Heuchler und Lügner Modrow
König, wußte schon Ende des Jahres 1989, daß Gorbatschows Sorge, wie es mit der DDR weitergehe, geheuchelt war, war doch in Wirklichkeit der Vereinigungsprozess „bereits im vollen Gange und die Vereinigung faktisch entschieden“. Obwohl König Modrow warnte, erkannte der DDR-Regierungschef Gorbatschows Verrat nicht, weil er, wie er in seinem Buch „Aufbruch und Ende“ (Hamburg 1991) schwärmte, mit ihm „ein herzliches persönliches, aber auch ein konstruktives Arbeitsklima“ unterhielt und er für ihn ein Mensch war, „der wirklich in großen Maßstäben denkt, der ein sehr komplexes Denken hat“. Von Fidel Castros bereits im Juli 1988 geäußerter Meinung, die Perestrojka sei „gefährlich“ und den „Prinzipien des Sozialismus entgegengesetzt“, hatte er offenbar nichts gehört.
Gorbatschow lieferte alle ans Messer…
Zur Charakterisierung des katastrophalen Ausmaßes der Fehleinschätzung Gorbatschows (der später bekannte: „Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus.“7) sei an die letzten Verhandlungen zwischen dem sowjetischen Staatschef und Bundeskanzler Kohl im Juli 1990 in Archys im Nordkaukasus erinnert. Sie bildeten den Gipfel des Verrats, denn bei diesem Treffen kam auch die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger Funktionäre der DDR zur Sprache. Kohl schlug Gorbatschow vor, den Personenkreis zu benennen, gegen den keine Ermittlungen eingeleitet werden sollten. Doch der sowjetische Präsident erwiderte, „die Deutschen würden schon selbst mit diesem Problem fertig“. Selbst Kohl und der anwesende Außenminister Hans-Dietrich Genscher hätten betreten auf den Präsidenten der UdSSR geblickt, schreibt Alexander von Plato.8
Auftakt für die Schauprozesse der BRD-Justiz
Hätte Gorbatschow Kohl in Archys „eine Liste mit – sagen wir – hundert Namen übergeben, die als ›Persona grata‹ als ›unantastbare‹ gegolten hätten, wäre es der bundesdeutschen Justiz nie möglich gewesen, Verfahren in jenem demonstrierten Schauprozeßstil zu inszenieren“, resümierte später Justus von Denkmann.9 Die Auslieferung von Repräsentanten eines mit der UdSSR durch einen Freundschaftsvertrag verbundenen Staates an den Feindstaat war „die Schmierenkomödie eines verantwortungslosen politischen Hasardeurs“.10
Einmarsch der imperialistischen Banditen in die DDR
Nach der vor Modrows Amtsantritt geöffneten Grenze nach Westberlin war die DDR „offen wie ein Scheunentor, und westliche Dienste, vor allem die der BRD und der USA, schalteten und walteten nach Belieben“, schätzte General Heinz Engelhardt im Rückblick ein.11 Während die Maschinerie des „Headquarter Germany“, Washingtons östlichster Basis für Geheimdienstoperationen in der Frontstadt Westberlin, auf Höchsttouren lief,12 beugte sich Modrow dem Druck des „Runden Tisches“ und ordnete am 14. Dezember 1989 die Auflösung des Amts für Nationale Sicherheit (AfNS), des Nachfolgers des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), an. Den „Bürgerbewegten“, also der Opposition, räumte Modrow ein entscheidendes Mitspracherecht ein. Gegen den am 15. Januar 1990 angekündigten Sturm auf den MfS-Komplex in Berlin-Lichtenberg ergriff Modrow, so Engelhardt, keinerlei Maßnahmen, obwohl das dazu führte, daß der sich in Auflösung befindende Geheimdienst zum ersten Mal „von einem gegnerischen Dienst inspiziert wurde“, der sich „ganz gezielt“ zur Hauptabteilung II, der Spionageabwehr, begab.
„Den Medien zum Fraß vorgeworfen“
2007 erschien im Jahrbuch für Kommunismusforschung ein Interview mit dem früheren Oberbürgermeister von Dresden, Wolfgang Berghofer. Der erklärte darin, daß Modrow ihn am 3. Dezember nach Berlin zu einer Beratung ins Haus des Ministerrates gerufen habe, zu der auch Markus Wolf und Wolfgang Pohl, zu der Zeit stellvertretender Vorsitzender der SED-PDS, eingeladen gewesen sei. Modrow habe gesagt: „Genossen, wenn wir die Partei retten wollen, brauchen wir Schuldige!“ Das müßten, habe er erläutert, Verantwortliche sein, „zu denen es in der Gesellschaft schnell einen Konsens gibt und die Massen sagen, jawohl, das sind die Schuldigen“. Modrow habe dann das Ministerium für Staatssicherheit genannt. Wolf habe Einspruch erhoben, aber Modrow habe ihn beruhigt, „die Aufklärung des MfS halten wir selbstverständlich aus dieser Einschätzung heraus“. Danach sei Wolf „einverstanden“ gewesen. Hier ist anzumerken, daß unabhängig davon, ob die betreffenden Behauptungen der Wahrheit entsprechen oder nicht, Modrow diese Haltung gegenüber dem MfS so praktizierte. Um die Partei zu retten, hätten Krenz, Modrow und andere das MfS „den Medien zum Fraß vorgeworfen“, resümiert Heinz Engelhardt.
Zwei Wochen nach der Ankündigung Vernon Walters, mit der DDR Schluß zu machen, führte Modrow mit dem Oppositionsgremium „Runder Tisch“ eine „konstruktive Debatte“ über eine „neue Etappe der Umgestaltung“, die er als eine „revolutionäre Übergangszeit“ charakterisierte (so das Neue Deutschland vom 23. Januar 1990). Damit wurde die Losung von der „friedlichen Revolution“ unter der in Wirklichkeit die Konterrevolution antrat, übernommen. Modrow nutzte nun das Treffen nicht etwa, um die von Walters angekündigten Pläne der USA, die in Bonn von Kanzler Kohl zustimmend aufgenommen wurden, zu enthüllen und die Vertreter der Bürgerbewegung aufzufordern, dagegen vorzugehen. Nein, er erklärte in völliger Mißachtung dieser drohenden Gefahren, „wir stehen vor einer neuen Etappe der tiefgreifenden Umwälzung, die sich in unserem Land vollzieht“. Er suchte einen Konsens mit dem oppositionellen „Runden Tisch“ und bot dessen Vertretern an, in seine Regierung einzutreten, um eine „große Koalition“ zu bilden (was dann auch angenommen wurde).
Der manipulierte Machtwechsel in der DDR
Ohne daß es die geringsten Abwehrmaßnahmen gab, konnten Parteien der BRD zur Volkskammerwahl am 18. März 1990 rund 40 Millionen DM für den Machtwechsel investieren. Es wurden „100.000 Schallplatten und Kassetten mit drei Reden Kohls verteilt, Wahlkämpfer in Bussen in die DDR gekarrt, Plakate geklebt – zum Beispiel in Erfurt 80.000 allein in einer Nacht durch hessische CDU-Mitglieder“, so die Soziologin Yana Milev im Gespräch mit junge Welt am 13./14. Juli 2019. Die Verfasserin der zweibändigen Studie „Entkoppelte Gesellschaft, Ostdeutschland 1989/90“, resümierte: „Der ganze Wahlkampf bis hin zum Beitritt war völkerrechtswidrig“. Während von Bonn die Wahlmanipulationen vom Mai 1989 in der DDR lauthals angeprangert wurden, kam niemand – auch seitens der PDS nicht – auf die Idee, publik zu machen, daß hier ähnlich verfahren wurde.
Eine opportunistische Partei
Folgt man bei der Suche nach den Ursachen den mit der Krise des Sozialismus 1989 in der SED bei den sogenannten Reformern einsetzenden Denk-und Verhaltensweisen, wird man unwillkürlich an Lenins Wort von der Taktik der Opportunisten erinnert. Sie mündet in den Kompromiß mit der Bourgeoisie, zeigt charakteristische Momente: „Zusammenarbeit der Klassen, (…) Verzicht auf die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität, Mißtrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber“.13 Lenin hob hervor, daß Reformen kein Selbstzweck sind, der Kampf um sie der Erhöhung des Organisationsgrades der Klasse dient, um den „Kampf gegen die Lohnsklaverei noch hartnäckiger fortzusetzen“. Es geht hier um keine Theoretisierung, sondern ins Konkrete übertragen ging es 1989/90 darum zu verhindern, daß die arbeitenden Menschen der DDR kampflos dem Joch der „Lohnsklaverei“ ausgeliefert wurden.
Vollendeter Klassenverrat
Denn der Reformismus, auch der 1989/90 und bis heute von den „Reformern“ betriebene, verkauft die Reformen als Verbesserung des Lebens im Kapitalismus. Davon ausgehend ist die Partei „Die Linke“ von ihrer von der Führung bestimmten Programmatik her, wenn man es auf den Punkt bringt, eine opportunistische Partei, die letztlich den Interessen des Kapitals dient, bzw. sie zum Ausdruck bringt. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß Krisen des Kapitals, Auslandseinsätze der Bundeswehr, Ausbeutung und soziale Ungerechtigkeiten thematisiert werden und davon die Rede ist, daß die Arbeiter „ihre Einkommen, Arbeitsbedingungen und ihre soziale Absicherung durch betriebliche, tarifliche und gesetzliche Regelungen (verbessern sollen), um so die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung zu beschränken“, wie es im Programm der Partei „Die Linke“ heißt – wohlgemerkt zu beschränken, nicht zu überwinden
Quelle: „junge Welt“ vom 10.01.2020
1 Aus dem Namen Partito Democratico della Sinistra ergab sich auch noch die Namensgleichheit mit dem deutschen Parteikürzel PDS.
2 1992 begannen Ermittlungen gegen ihn, die 1994 zu einer 28jährigen Haftstrafe führten, von der er aber keinen Tag absaß, weil er nach Tunesien ins Exil ging.
3 Klaus Eichner/Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon Walters – Ein Geheimdienstgeneral des Kalten Krieges, Berlin 2005
4 Nachzulesen in: Vernon Walthers: Die Vereinigung war voraussehbar. Hinter den Kulissen eines entscheidenden Jahres, München 1994
5 Hans Modrow: Ich wollte ein Neues Deutschland, Berlin 1998
6 Nachzulesen in: Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg, München 1997
7 Prawda Rossii vom 26. Juli 2000 über einen Vortrag Gorbatschows vor einem Seminar an der US-amerikanischen Universität in Ankara im Herbst 1999
8 Alexander von Plato: Die Vereinigung Deutschlands – ein weltpolitisches Machtspiel. Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle, Bonn 2002
9 Justus von Denkmann: Wahrheiten über Gorbatschow, Berlin 2005
10 Eberhard Czichon/Heinz Marohn: Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf, Köln 1999
11 Heinz Engelhardt: Der letzte Mann. Countdown fürs MfS, Berlin 2019
12 Klaus Eichner/Andreas Dobbert: Headquarters Germany, Berlin 2008
13 Wladimir I. Lenin: Werke, Bd. 11, Berlin 1958, S. 111