Mittwoch, 14. Juli 2021. Den ganzen Tag regnete es, doch noch ahnte ich nicht, was auf uns zukommt. Nach der Arbeit, zuhause angekommen, sind die Straßen bereits überflutet und der Strom abgestellt, doch wenigstens durchgekommen bin ich. Da ich Pendler bin und die Eifel bislang nicht gerade Schauplatz von Naturkatastrophen war, werde ich hellhörig, als sich die Nachbarn über den Gartenzaun hinweg darüber austauschen, daß der Stadtteil evakuiert werden könnte, wenn der Pegel an der Talsperre weiter steigen würde und viele schon abgereist seien. Nun werde ich langsam nervös und beginne im Dunkeln mit dem Smartphone als Behelfslampe mit dem Packen.
Um 4 Uhr in der Nacht werde ich dann von einer Lautsprecherdurchsage der Feuerwehr geweckt. Alle Einwohner sollen sich am Parkplatz eines Supermarktes einfinden. Wer nirgendwo anders hin könne, werde dort in einer Notunterkunft untergebracht. Ich fahre stattdessen zu Verwandten, die sicher auf einem Berg leben, oder was bis jetzt noch als sicher galt...
Ich sollte viel Glück haben: Die Talsperre hielt. In meiner Wohnung waren keine Schäden und auch mein Stadtteil blieb verhältnismäßig verschont. Anders sah es in den tiefer liegenden Regionen aus. Dort bot sich ein Bild des Grauens. Die auf ihr mehrfaches angeschwollenen kleinen Flüsse und sogar Bäche rissen neben Autos, Wohnwagen, Mauern, Häusern auch Menschen mit sich. Ortschaften, die ich seit meiner Kindheit kenne, wie Bad Neuenahr-Ahrweiler, Euskirchen, Iversheim, Adenau, Bad Münstereifel, Schuld, Insul, Ahrbrück, Mayschoss, Rech, Dernau und viele andere, sehen aus wie nach einem Flächenbombardement. 600 Kilometer Gleise und 80 Bahnstationen sind zerstört, nahezu alle Brücken über die Ahr sind weg. Junge Helfer sind traumatisiert von dem sich ihnen bietenden Anblick, die älteren müssen ihnen zur Seite stehen. Überall steht das bräunlich gefärbte Flußwasser, in das sich die Heizöltanks der weggeschwemmten Häuser ergossen haben. Auch Chemiebehälter sind mancherorts von den Wassermassen erfaßt worden. In jedem der wie eiserne Särge liegen gebliebenen Fahrzeuge könnte sich noch ein Toter befinden, zum Glück konnten sich die meisten noch aus ihren Autos retten.
Das Ausmaß der Katastrophe ist kaum vorstellbar. Angenehm hingegen ist im Angesicht des Desasters die spontane Solidarität der Menschen, die sich auch gegenüber Wildfremden zeigt. Erfreut ist darüber auch die schnell herbeigereiste Politprominenz, bestehend aus Merkel, NRW-Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Laschet (CDU) sowie RLP-Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). In den zwischen Trümmern und bangenden Anwohnern anberaumten Pressekonferenzen verspricht die Polit-Prominenz schnelle, unbürokratische Hilfe. Klar, die wollen ja gerade gewählt werden. Einigen, die nun vor dem Ruin stehen, gibt es verständlicherweise Hoffnung, andere schütteln aber auch mit dem Kopf. Viele warme Worte für die selbstorganisierte Solidarität der Anwohner kommen auch von diesen konservativen Politikern, die sonst so sehr darauf erpicht sind, die Vorteile der Marktwirtschaft und des Eigensinns für das vermeintliche Wohl aller herauszustellen.
Bislang sind 160 Tote in Deutschland bekannt, hunderte werden noch vermißt. Im benachbarten Belgien starben mindestens 30. Wie die Times aus Großbritannien schreibt,
hat das Europäische Hochwasser-Warnsystem (Efas) die Regierungen der Bundesrepublik und Belgiens vor Hochwasser vorgewarnt, daß es vor allem die Orte an der Erft und Ahr treffen würde, sowie Ortschaften wie Hagen und Altenahr in NRW.1 2 Mindestens 24 Stunden im Voraus erfolgten diese Warnungen, dennoch starben bei der Lebenshilfe, einem Wohnheim für Behinderte in Sinzig direkt an der Ahr 12 Menschen, die sich nicht in höhere Stockwerke retten konnten, da die Wassermassen zu plötzlich kamen3! Die Linkspartei reagierte darauf bereits reflexartig, wie eine brave systemtragende Oppositionspartei das eben so macht, mit der Forderung nach Rücktritt des Innenministers Horst Seehofer (CSU).
Aber mit dieser – zugestanden – inkompetenten Personalie allein ist es nicht getan, die Probleme liegen viel tiefer. So hat die BRD schon seit Ende des kalten Krieges die Zahl der Warnsirenen reduziert. Selbstgefällig im Glauben an die eigene Unbesiegbarkeit sahen die Regierenden keine Notwendigkeit mehr für Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung, es gab ja durch die Konterrevolutionen keinen Feind mehr, der zurückschlagen könnte. Seit 1993 wurde die Zahl der Sirenen von 80.000 auf 40.000 reduziert und es gibt kein flächendeckendes System mehr zur Alarmierung der Bevölkerung4. Die verschiedenen Warntöne wurden in den Schulen kaum noch vermittelt. Die Natur interessierte sich nicht für diese Arroganz der Herrschenden. Die Internetinfrastruktur, die sich schon während der Pandemie für viele Schülder in ländlichen Regionen als unzureichend erwies, hat als Warninstrument ebenfalls versagt. Es bleibt das Radio, als einzig funktionierendes Medium, wenn Strom und Netz weg sind. Aber während der Katastrophe sendeten öffentlich-rechtliche und private Radiosender fröhlich weiter ihr Gedudel, statt die Bevölkerung in Dauerschleife zu warnen. Es wäre sicher ein leichtes, alle Sender zu verpflichten, im Katastrophenfall Warnmeldungen zu senden, es fehlt dazu lediglich der Wille.
Wie konnte es dazu kommen, daß harmlose kleine Flüsse und sogar kleine Bäche sich in reißende Ströme verwandeln. Derzeitiger Stand der Wissenschaft5 ist, daß durch den Wegfall von Temperaturunterschieden in der Arktis die Höhenwinde (Jet Stream) weniger aktiv sind, sich das Wetter „verlangsamt“ und somit Wetterlagen länger über einer Region aktiv sind. Das sorgt für Wetterextreme wie Starkregen bei uns, aber auch Dürren und Waldbrände wie in Australien oder den USA6. Die Eifel hat es besonders hart getroffen, da in einem Mittelgebirge die Wassermassen ungebremst von den Bergen ins Tal fließen.
Da die Menschheit noch nicht über die Möglichkeit verfügt, kontrolliert das Wetter und Klima zu beeinflussen (und solange der Kapitalismus herrscht, ist das auch besser so!), müssen neben besseren Frühwarnsystemen zum Bevölkerungsschutz auch Schutzmaßnahmen an Gewässern getroffen werden. Schutzmauern und Rückhaltebecken müssen errichtet werden, um Schäden zu verhindern. Dabei werden jedoch unweigerlich Probleme auftreten: Rückhaltebecken müßten beispielsweise in den höheren Regionen errichtet werden, die nicht selbst von späteren Schäden betroffen sein werden. Wer weiß, wie hart Kommunen bei der Ansiedlung von lukrativen Unternehmen miteinander konkurrieren7, der kann sich schwer vorstellen, daß eine geographisch höher gelegene Kommune sehr viel Geld in die Hand nimmt, damit in Zukunft eine niedriger gelegene Kommune vielleicht nicht von einer zerstörerischen Flut heimgesucht wird. Hier steht sich das kapitalistische System der Konkurrenz selbst im Wege. Es ist zudem unwahrscheinlich, daß ein kapitalistisch regierter Staat bereit ist, sehr viel mehr Ressourcen für die Prävention auszugeben.
Wie diese aussehen werden, läßt sich derzeit noch nicht genau abschätzen. Auf der einen Seite könnten die regierenden Unionsparteien ähnlich wie Schröder 2002 von der Krise profitieren, indem sie große Hilfe versprechen. Auf der anderen Seite könnte die eigentlich durch ihre Lebenslauf-Unzulänglichkeiten und die „vergessenen“ Nebeneinkünfte schon abgeschlagene grüne Kanzlerkandidatin Anna-Lena Baerbock wie von Fukushima im Jahr 2011 profitieren. Das ist derzeit schwer abzuschätzen.
Was jedoch leicht abzuschätzen ist: Beide Alternativen sind schlecht für die Arbeiterklasse. Beide werden die Folgen des Klimawandels über den CO²-Preis der Arbeiterklasse aufbürden, so wie das bereits beim Heizkostenaufschlag geplant ist, den exklusiv der Mieter bezahlt. Auch Lebensmittel werden durch die Erhöhung der Transportkosten dank des CO² Preises teurer werden. Die Herrschenden, ob nun grün oder schwarz, sind somit selbst verantwortlich, daß die Akzeptanz der arbeitenden Bevölkerung an Maßnahmen für den Klimaschutz sinken wird, da sie ausschließlich die Profitinteressen des Kapitals dabei im Blick haben. Ein wirksamer Klimaschutz kann aber nur mit der großen Mehrheit der Bevölkerung gemacht werden, nicht gegen sie.
Es ist somit bereits abzusehen, daß weitere Katastrophen wie in der Eifel, in NRW und auch Teilen von Bayern nicht zu verhindern sind, solange das Kapital regiert. Nur dann, wenn neben der spontanen Solidarität nach einer solchen Katastrophe auch eine allseits geplante Solidarität entsteht, die das ganze Staatswesen ergreift, also Sozialismus, ist die Situation im Sinne aller Menschen zu beherrschen.
„Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andere, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, daß sie damit den Grund zur jetzigen Verödung jener Länder legten… Und so werden wir mit jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen und daß unsere ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“
(Friedrich Engels Menschwerdung des Affen, MEW 20, 452f)
Informiert euch im Netz über Möglichkeiten zur Spende und helft der Bevölkerung vor Ort.
Gregor Lenßen
https://www.radiobonn.de/artikel/zwoelf-menschen-in-wohnheim-fuer-behinderte-ertrunken-1010732.html |
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Ich klammere die Kellerkinder mit „Youtube-Diplom“, die sowieso für alles eine noch viel bessere (=esoterische) Erklärung haben, einfach mal aus. |
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