Solidarität mit der Norgren-Belegschaft! Sie kämpft um Arbeit und Zukunft!

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Kategorie: Inland
Veröffentlicht am Montag, 28. Oktober 2013 11:13
Geschrieben von estro
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Norgren in Großbettlingen, nahe Nürtingen am Neckar, Albstraße 13, Samstagnachmittag, am 26.10.2013:

Der Gewerkschaftssekretär der IG Metall vor Ort, vor dem seit Wochen blockierten Werkstor wird deutlich: In all seinen Jahren als Arbeiter, als Betriebsrat, als Gewerkschaftsfunktionär habe er so etwas noch nicht erlebt! Eine solche Brutalität, ein so menschenfeindliches Vorgehen, einen solchen Umgang mit Menschen, die arbeiten, die ein Vorzeigewerk für elektromechanische KFZ-Komponenten aufgebaut haben, das sogar profitabel sei, ein Kompetenz-Center…

Seit Wochen halten die -Kolleginnen und Kollegen von Norgren Wache vorm Werkstor und am zweiten Werkszugang in der Seitenstraße. Rund um die Uhr! Sie haben sich in 6-Stundenschichten aufgeteilt. Die Betriebsratsvorsitzende und eine weitere Betriebsratskollegin sind da, mehrere Kolleginnen und Kollegen aus dem Werk. Viele Nachbarn sind solidarisch, sie bringen Essen, Kaffee, Getränke zu den beiden Streikzelten, halten die Augen offen und sagen Bescheid, wenn sie im und ums Werk herum Verdächtiges beobachten. Seit der erfolgreichen Urabstimmung am 11.Oktober wird der Betrieb offiziell bestreikt!

Zum dritten Mal nach 2007 und 2009 wollen die Chefs der zum britischen IMI-Konzern aus Birmingham gehörende Norgren GmbH das Großbettlinger Werk schließen. Rund 100 Kolleginnen und Kollegen würden die Arbeit verlieren. Viele kommen aus dem kleinen Ort und den umliegenden Gemeinden. Eine Katastrophe!

Das meiste soll nach Tschechien verlagert werden, 20 Mitarbeitern/innen sollen Arbeitsplätze im Fellbacher Norgren-Werk angeboten werden. Ein Angebot, dem kaum noch einer vertraut, nach allem was geschehen ist:

Mitarbeiter wie Verbrecher behandelt!

Die beabsichtigte Schließung wäre schon hart genug. Aber die Art und Weise wie die Geschäftsführung vorging – diese Methoden führten zu der drastischen Aussage des Gewerkschafters, die eingangs zitiert wurde. Die Norgren-Chefs behandeln ihre Mitarbeiter wie Verbrecher, wie menschlichen Abschaum, wie das Böse!

Die Betriebsratsvorsitzende Nevin Akar berichtet: Sie sei in der Deutschlandzentrale von IMI in Alpen zu einer Sitzung des Gesamtbetriebs und des Wirtschaftsausschusses gefahren. Dort, gut 800 km von Großbettlingen entfernt, wurde ihr kühl mitgeteilt, ihr Werk werde zum 31. Dezember 2013 geschlossen! Aber damit nicht genug! Genau jetzt, wo sie weit fort war, wurde die Belegschaft in einer Versammlung von der Geschäftsführung gerade darüber informiert. Und sie ist eine stundenlange Reise entfernt.

Werk Großbettlingen zur gleichen Zeit: Die Kollegen fühlten sich geradezu überfallen! Bereits zu dieser „Information“ erschien der Geschäftsführer mit Bodyguards! Als die geschockten Kolleginnen und Kollegen zurück in die Montagehallen an ihre Arbeitsplätze wollten, fanden sie diese besetzt vor - von 20 schwarzgekleideten Wachleuten, die selbst das Wechseln der Schuhe und das Öffnen oder Schließen von Fenstern kontrollierten. Seitdem wird das ganze Werk rund um die Uhr von dieser „Wachmannschaft“ gesichert.

Die Firma „Correct Control“ aus Chemnitz hat im Auftrag der Geschäftsführung das Werk besetzt, die automatische Zeiterfassung ausgeschaltet, die Werksausweise der Kolleg/innen deaktiviert. Die Rezeption am Werkseingang ist von ihnen besetzt. Als Nevin Akar zurück im Werk war, konnte sie zunächst nicht in ihr Büro. Sie musste sich kontrollieren lassen. Die Schlösser des Betriebsratsbüros waren ausgetauscht. Alle, nicht nur sie, mussten sich bei der „Security“ am Eingang melden, wurden registriert, zum Teil von diesen Typen bis an den Arbeitsplatz geleitet. Glatze, Bomberjacke, die Frauen ebenfalls im einschlägigen Outfit. Die Telefonzentrale wurde von der Wachtruppe besetzt. Telefonate für den Betriebsrat wurden einfach nicht durchgestellt - laut IG Metall ist kein weiterer Fall wie dieser in Deutschland bekannt. Nach Intervention der Gewerkschaft wurden diese krassen Betriebsratsbehinderungen immerhin zurückgefahren. Aber es bleibt dabei: Die Norgren-Kolleg/innen fühlen sich wie Verbrecher, die man bewachen muss. Die ganze Gemeinde ist in Aufruhr. Die Nachbarn sind erschreckt und verängstigt, aber sie solidarisieren sich. Und selbst der herbeigeeilte Bürgermeister musste sich von den Typen kontrollieren lassen!

„Jage nur, was Du töten kannst!“

„Jage nur, was Du töten kannst!“ diese faschistische Parole protzt groß auf der Heckscheibe eines der Autos, mit denen sich diese „Securitytruppe“ namens Correct Control bewegt. Am Seitenfenster das „Eiserne Kreuz“!

Kollegen von Norgren berichten, ein Mensch aus dem SPD-geführten Stuttgarter Wirtschaftsministerium sei jüngst vor Ort gewesen, eigentlich hätte der Minister Nils Schmid selbst kommen sollen, hätte aber keine Zeit gehabt. Auf diese faschistische Parole angesprochen hätte der nur mit den Achseln gezuckt. Aber man habe ihn „aufgeklärt“: Dieser Spruch zeige, dass hier Leute mit faschistischen Anschauungen gegen Kolleg/innen eingesetzt werden, die ums Überleben kämpften. Wie deutlich er das denn noch sehen wolle!?

Solidaritätsbesuch von Mercedes Benz aus dem Hauptwerk Sindelfingen. Sie kamen in der letzten Woche mit einem Bus die rund 60 km von Sindelfingen zum Werkstor, brachten Geld übten Solidarität! Sie standen mit den Großbettlingern vorm offenen Werkstor – da erschien einer von dieser Truppe vor dem Windfang und begann, die Kollegen abzufilmen. Einige Mercedes–Kollegen gingen durch das offene Werkstor einfach zu ihm und fragten, wofür er filmt, was das soll. Es gibt Fotos der Szene. Die Kollegen haben die Hände in der Hosentasche, sie sind locker, einige lächeln, keiner zeigt auch nur eine gehobene Hand, geschweige denn die Faust… Der Wachmann rief vor den Augen der Kollegen die Polizei an, forderte Polizeiunterstützung an, das Werk werde gestürmt! 4 Polizeiwagen kamen mit Blaulicht, die gesamten Kollegen im Bus wurden kontrolliert, die Personalien wurden aufgenommen, es hieß, es werde Anzeige gegen sie erstattet. Deutschland 2013…

Jage nur, was Du töten kannst: Wenn wir uns in der Überzahl befinden, wenn wir die Polizei im Rücken fühlen – dann sind wir mutig! Im KZ ist gut jagen und töten! Wenn Dein Gegenüber stark ist – verpiss Dich lieber, deutscher „Held“! Nazis und Faschisten haben ihre feige Gesinnung immer schon hinter dröhnenden Sprüchen versteckt!

Der Kampf um den Abtransport der Maschinen

Am Samstagmorgen, 5. Oktober, 8:00 Uhr alarmierten Nachbarn die Betriebsratsvorsitzende Nevin Akar! Auf dem Werksgelände sei Ungewöhnliches in Gange! Unbekannte Leute mit Werkzeug, ein tschechischer LKW warte in der Straße. Sofort wurde die Telefonkette ausgelöst, schnell kamen die Kolleg/innen herbei, die IG Metall, ja sogar Rentner, die früher hier gearbeitet haben.

Auch der Bürgermeister, der die Kolleg/innen unterstützt, kam herbei.

Es war kein falscher Alarm! Werksleiter Eisenhut wollte eine Montagelinie nach Tschechien bringen lassen. Obwohl Verhandlungen laufen, über einen so genannten Sozialtarifvertrag, über einen Interessenausgleich, wie ihn das Betriebsverfassungsgesetz vorschreibt, vielleicht über einen Sozialplan. Dazu später mehr. Die Kolleg/innen, die IG Metall, der Bürgermeister verlangten, auf den Abtransport zu verzichten, solange Verhandlungen laufen. Nein! Die Kollegen vorm Tor begingen Rechtsbruch, so Eisenhut.

Der Gewerkschaftssekretär Thomas Maier parkte seinen IG Metall-Wagen vor der Ausfahrt, Kollegen taten es ihm gleich. Die Leute standen! Die Werksausfahrt in der Nebenstraße ging auch nicht, da ist alles zu eng für den LKW. Eisenhut rief die Polizei, erklärte die Kollegen fast für kriminell, er verlangte die Räumung, drohte Strafanzeigen an! Bürgermeister Fritz war fassungslos über so viel Kompromisslosigkeit.

Eisenhut verlangte die Räumung durch die Polizei, sollten die Kollegen nach dreimaliger Aufforderung das Werkstor nicht freigeben. Die Kollegen gaben nach, aber das IG-Metallauto blieb stehen. Die Nürtinger Zeitung berichtete am darauffolgenden Montag: „Thomas Maier lässt es auf eine Anzeige ankommen. Und da sein Fahrzeug nicht so einfach abgeschleppt werden konnte, da dies einen Gerichtsbeschluss erfordert,“ blieb das Werk blockiert, und in den nächsten Tagen konnte zunächst der Abtransport verhindert werden. Trotzdem muss man sich das einmal verdeutlichen, ein Gewerkschaftssekretär, der tut, was in dieser Lage getan werden muss(!!), riskiert, dass sein Handeln illegal ist, muss es auf eine Anzeige ankommen lassen. Das ist deutsche Realität im Jahre 2013!

Es gab noch weitere Abtransportversuche am Wochenende mit kleineren LKWs, aber die Kollegen haben übers ganze Wochenende rund um die Uhr standgehalten. Und das zunächst einmal verhindert.

Versuche zum Abtransport wurden immer wiederholt, inzwischen mit gerichtlicher Erlaubnis. Es ist aber bisher nur gelungen, 2 von 14 Linien abzutransportieren.

Es gibt in Deutschland kein freies Streikrecht!

Die Kolleg/innen stehen fest zu ihrer Sache. Sie kämpfen um ihr Werk, um ihre Arbeitsplätze. Aber offiziell geht es um einen so genannten „Sozialtarifvertrag!“ Der soll Regelungen festschreiben, nach denen dieser Konflikt gelöst werden kann. Die Frage ist aber ganz klar und ganz einfach: Wir wollen leben, wir brauchen unsere Arbeit und eine Zukunft! Aber nach deutschem Recht muss man eine klare und einfache Frage in eine Tariffrage verwandeln, muss irgendwie einen Tarifvertrag daraus machen, damit man überhaupt „legal“ streiken darf! Wir haben kein freies Streikrecht, sondern ein durch das Tarifvertragsgesetz massiv eingeschränktes Streikrecht.

In Deutschland müssen wir uns ein freies, ein uneingeschränktes und politisches Streikrecht erst erkämpfen!

Aus dieser rechtlichen Lage heraus wurde ein „Tarifkampf“ eingeleitet, wurde auf einer Mitgliederversammlung der Norgren-IG Metall eine Tarifkommission gegründet, werden diese „Sozialtarifverhandlungen“ geführt. All das wurde gleich im September nach der Mitarbeiterinformation eingeleitet. Die Verhandlungen mussten scheitern und scheiterten, deshalb wurden dann Warnstreiks ausgerufen, schließlich die Urabstimmung eingeleitet, bei der mit 97% für den Streik gestimmt wurde!! Wochenlange Warnstreiks heißt: kein Geld für die Mitarbeiter. Seit dem offiziellen Streikbeginn gibt es immerhin Streikgeld! Aber viele Kollegen geraten nach und nach in Not. Spenden sind dringend notwendig. Es ist ein zynisches Szenario, das hier abläuft.

Solidarität ist dringend erforderlich! Wer sich hier durchsetzt, setzt ein Zeichen! Wie dieser Kampf ausgeht, ist im Moment ungewiss. Aber er geht weiter. Die Unterstützung ist groß. Obwohl im Werk nur knapp 100 Kolleg/innen sind, gab es am 16. Oktober im 5 km entfernten Nürtingen eine Solidaritätsdemo mir mehr als 300 Menschen!

Solidarität hilft siegen!

Samstag nachmittags, 26.Oktober 2013: Strahlender Herbst, die Wache der Großbettlinger hält vor dem Tor aus. Einer der Esslinger Gewerkschaftssekretäre ist immer vor Ort. Heute ist auch der zweite Bevollmächtigte Jürgen Groß da. Betriebsdelegationen kommen einfach vorbei. Ein Kollege von Allgaier ist da, mit mehreren Autos kommen ungefähr10 Kolleginnen und Kollegen von der Roto-Frank-AG aus Leinfelden. Auch weitere Kollegen kommen an, ein Betriebsratsvorsitzender von Bosch, ein Betriebsrat von Gering in Ostfildern, zusammen mit ihren Ehefrauen. .Die Roto-Kollegen überreichen wieder eine Spende, denn sie haben nach Aussagen eines der Kollegen bereits zum zweiten Mal Geld gesammelt. Die Großbettlinger sagen, sie seien überwältigt von der Solidarität. Die Roto-Delegation wird angeführt von der Betriebsratsvorsitzenden, einer Kollegin mit türkischem Hintergrund. Kolleginnen aus der Türkei, die dabei sind, versprühen mit Liedern und Tänzen einen mitreißenden Optimismus! Alle klatschen begeistert im Takt mit. Ein Motorradfahrer bleibt an der Mahnwache stehen und zeigt Solidarität. Dann wird es laut. „Hoch die Internationale Solidarität!“ - die bekannte Parole schallt, von den Anwesenden gemeinsam gerufen, über den kleinen Ort!

Plötzlich fährt eines der Autos der „Security“ vom hinteren Parkplatz aus dem Werksgelände. Höhnische Rufe und ironisches Beifallklatschen begleitet den Wagen. Der Fahrer, ein vierschrötiger Glatzkopf, sieht zu, dass er schnell wegkommt, er muss auch noch beim Haupttor vorbei. „Die fahren die Streikbrecher aus dem Werk, irgendwohin, wo die ihre Autos geparkt haben…“ Wahrscheinlich Leiharbeiter.

Aber auch das ist keine Kleinigkeit, hier Streikbruch zu organisieren. Es sind nur ganz wenige, sie passten heute in einen VW-Kombi mit der Braunschweiger Nummer BS-VM-3879.

Die Norgren-Kollegen berichten, dass sie Leute aus dem Fellbacher Werk geschickt hätten, die sich nach einem Tag geweigert hätten, wieder zu kommen. Was aber den Großbettlingern am meisten imponiert hat: Drei Leih-Arbeitskollegen seien hergeschickt worden, hätten gesehen, was hier abgeht und hätten sich geweigert, hier zu arbeiten. Als ihre Chefs aber auf dem Arbeitseinsatz bestanden hätten, hätten sie beim Verleiher selbst gekündigt. Informierte wissen, was das heißen kann: Spießrutenlaufen beim Arbeitsamt, Sperre, wie kriegt man je wieder einen Job?

Doch, die Geschichte stimmt, sagen die Norgren-Kollegen voll Respekt, als man etwas ungläubig nachfragt.

Wir rufen alle Leser auf:

Unterstützt diesen Kampf! Er hat große, überregionale Bedeutung. Spendet auf das Solidaritätsskonto:

IG Metall
KTO-Nr.: 1040
HELABA
Bankleitzahl 5050000
Verwendungszweck Streik Norgren

Sendet Solidaritätsadressen an:

Betriebsrat
Norgren GmbH
zu Händen Kollegin Nevin Akar,
Albstr. 13,
72663 Großbettlingen.